Exzerpt:Naumann 1963

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Das vorliegende Werk von Nelly Naumann beschäftigt sich mit Geschichte und möglichem Ursprung der yama no kami, sowie einer Vernetzung von unterschiedlichen Glaubensvorstellungen und Glaubenspraktiken zu den mannigfaltigen Erscheinungen der yama no kami. Naumann verbindet in ihrer Analyse zwei bisher meist separiert betrachtete Ausformungen der yama no kami: Erstens die Gotteheiten der Jäger und Waldarbeiter und zweitens die Vegetationsgottheiten der Bauern. Ihre Primärquellen schließen sowohl Kojiki und Nihon shoki als auch das Man'yōshū mit ein.

Einleitung

In der Einleitung setzt sich Naumann kurz mit dem Quellenmaterial auseinander, welches sich einerseits aus den genannten Primärquellen Kojiki, Nihon shoki und Man'yōshū zusammensetzt und andererseits aus den umfassenden Sammlungen und Analysen japanischer VolkskundlerInnen zur Thematik (S.135). Naumann beschreibt ebenso den bisherigen Forschungsstand (also bis 1963). Sie verweist hier insbesondere auf Yanagita Kunio, welcher 1909 in seinem Werk Go-karikotobaki den Anstoß zur Forschung über die yama no kami gibt. Weitere wichtige Forscher, die das Forschungsfeld um die yama no kami in den 1930er Jahren erweitern, sind Kindaichi Kyōsuke und Higo Kazuo. Als besonders wichtig für die Entwicklung des Forschungsfeldes erachtet Naumann auch die in der Ise Minzoku 1956 veröffentlichte Umfrage zu Bräuchen und Glaubensvorstellungen, welche wichtige Daten für die weitere Untersuchung der Yama no Kami liefert (S.136-137). In der Einleitung erfolgt auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Begriffen „Berg“ und „Wald“ in Japan. Naumann weist darauf hin, dass die beiden Begriffe keinesfalls separiert werden können und dass der japanische Begriff yama vielmehr mit „Bergwald“ zu übersetzen sei (S.138). Zudem beschreibt Naumann die Schwierigkeit, die Berggottheiten von anderen abzugrenzen, da sie oft namentlich unterschiedlich, jedoch im Kern deckungsgleich sind (S.138-139).

Die Mythen des Kojiki und Nihon shoki

Erste Beschreibungen der yama no kami lassen sich in den Mythensammlungen finden. Nachdem Izanagi und Izanami die japanischen Inseln geschaffen hatten, formten sie auch die Berggottheiten. Das Kojiki stellt sie unter dem Namen „Ōyamatsu no Kami“ vor und stellt zudem eine Verbindung mit Baum- Feld- und Meeresgottheiten her. Ebenso das Nihon shoki, indem die Berggottheiten als „yamatsumi“ betitelt werden. An anderer Stelle werden sie bei der Zerstückelung des Kaguzuchi no Kami durch Izanagi nach dem Tod von Izanami erwähnt. Alle acht (Kojiki) bzw. fünf (Nihon shoki) Gottheiten, die aus Kaguzuchis Körper enstanden, wären ebenso yama no kami (S.140-142). Aktiv treten die Berggottheiten erst ab den Erzählungen um den legendären ersten Kaiser Jinmu auf, ebenso in den Berichten über den heldenhaften Sohn des Kaisers Keikō (Ōtarashi), sowie des Yamato Takeru. Beide Passagen berichten über die Bekämpfung der ungestümen und listigen Berggottheiten, die dann und wann sogar die großen Helden besiegen können (S.143-144).


Naumann beschäftigt sich im folgen Teil mit der Analyse der Darstellung der Berggottheiten in Entstehungsmythen, ihrer Anzahl, sowie der Frage nach Namensgebung und Entwicklung. Interessant hierbei ist unter anderem die Beschreibung der Vielgestalt der yama no kami und die mögliche Entwicklung von menschlicher bzw. tierischer Darstellung und die kritische Auseinandersetzung mit der Frage nach der Existenz eines „obersten“ Berggottes. Wichtig ist auch die Darstellung der Bergottheiten als Gegenpol zur „expandierenden“ Menschheit, also im Kampf gegen ihre Eroberer (S.146-150).

Yama no kami, Die Gottheit der Jäger und Waldarbeiter

Naumann setzt sich mit Darstellung und Wesen der Berggottheiten als Gottheiten der Jäger und Waldarbeiter in folgenden Kategorien auseinander, welche kurz umrissen werden sollen:

Der „Herr der Tiere“

Tiergestalt

Die Vorstellung der yama no kami als Tiere des Waldes existiert bis heute. Einige Tiergestalten treten hier besonders stark hervor und werden von Naumann in diesem Unterkapitel einzeln besprochen. Als Tiergestalt treten die Berggottheiten einerseits selbst auf, andererseits stellen die Tiere auch ihre Boten und Diener dar (S.150). Es ist jedoch festzustellen, dass diese drei Darstellungsweisen (Bote, Diener, Kami) meist identisch sind. Zudem werden die yama no kami als Herren bzw. Besitzer der genannten Tierarten dargestellt (S.159-160).

  • Affe

Der Affe wird in der Sprache der Jäger und Waldarbeiter mit vielerlei Namen betitelt, die seine Verbindung zu Berg und Wald offenbaren – von „yama no hito“ („Bergmensch“), über „yama no oyaji“ („Bergmeister“), zu „yama no ani“ („Bergbruder“). Er tritt in den Mythen unter anderem als Betrüger, betrogener Betrüger, als „dankbares Tier“, und als „Affenbräuitigam“ auf (S.151-152).

  • Hase

Der Hase, oder auch der „weiße Hase“ tritt oft als Bote der Berggottheit auf und wird je nach Erzähllung als gutes oder böses Omen interpretiert. Er ist der Säer der Baumsamen und somit sowohl Gehilfe der yama no kami, als auch eine Darstellung ihrer selbst. Die Darstellung des Hasen im Kojiki, beispielsweise in der Erzählung rund um den Hasen von Inaba, weist zudem auf den Zusammenhang zwischen Berg-, Wald- und Meergottheiten hin (S.152-153).

  • Wildschwein

Das Wildschwein zeigt seine Verbindung mit den yama no kami vor allem durch die notaba bzw. nutaba auf, also Orten wo Wildschweine sich versammeln. Diese Orte gelten als heilig und sollen unangetastet bleiben, da sonst der Zorn der Kami heraufbeschworen wird. Wenn man die notaba jedoch verehrt, zeigt sich die Gottheit dankbar, Dorf und Felder bleiben unversehrt. Die Wildschweine sind weniger Verkörperung der Gottheit als ihre getreuen Diener (S.154-156).

  • Wolf

Der Wolf wird insbesondere als Vermittler zwischen dem Dorf als Bereich der Menschen und dem Wald als Herrschaftsgebiet der yama no kami dargestellt. Er ist so aber auch die Verkörperung der Berggottheiten, besonders dann wenn sie beschlossen haben längere Zeit unter den Menschen zu weilen. So existieren beispielsweise Wolfsaustreibungszeremonien, die den üblichen „Kami Okuri“ stark ähneln (S.155).

  • Fuchs

Der Fuchs, bzw. der weiße Fuchs ist ebenso Bote zwischen Menschen und Göttern und tritt vor allem in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Inari-Glauben auf (S.156).

  • Dachs

Der Dachs ist eine regional gebundene Verkörperung der Berggottheiten und tritt in dieser Form nur in Sado (Niigata) auf (S.156).

  • Wiesel

Das Wiesel ist einer der wichtigsten Begleiter der Berggottheiten und tritt unter verschiedenen Namen als „kleines Tierchen“ der yama no kami auf. Das Wiesel ist auch Bote und Reittier der Kami und sollte von allen unversehrt gelassen werden, da sonst „der Berg zu toben“ begänne (S.156-157).

  • Hirsch

Der Hirsch als Bote der Berggottheiten tritt vielgestalt auf, etwa als weißer Hirsch oder einhörniger Hirsch. Er darf auf keinen Fall von den Jägern geschossen werden, da diese sonst Unheil ereilen würde (S.157-158). Der Hirsch hat auch besondere rituelle Funktionen und wird in einigen Shintō Schreinen speziell verehrt (z.B. Suwa Schrein in Nagano). Der Hirsch scheint zudem nicht nur in jägerischen Glaubensvorstellungen vertreten zu sein, was beispielsweise seine Verbindung zum Reisbau bezeugt (S.159).

  • Bär

Der Bär wurde geschichtlich schon relativ früh aus dem menschlichen Einzugsgebiet verdrängt, es zeigen sich aber trotz dieser Tatsache Spuren in der Glaubensvorstellung um die yama no kami. So beispielsweise um die Themenkreise Geburtshilfe und Eroberung des Berges (S.159).

Spender des Jagdglücks

In diesem Kaptel geht Naumann auf die Legenden rund um die Jagd, Opfer und Gebete vor der Jagd und die Danksagung nach der Jagd ein. All diese Glaubenspraktiken hängen in höchstem Maße mit der Berggottheit zusammen, die den Jägern ihre Beute gewähren oder versagen kann, die über ihr Übel oder Wohlergehen während der Jagd entscheidet, sowie über die sichere Rückkehr nach Hause. Naumann weist auf die Wichtigkeit von Jäger-Dorfgemeinschaften, den magati, für die Glaubensvorstellung und Praxis rund um die yama no kami hin. Ausschlaggebend für die Legenden rund um die Jagd sind vor allem die aus diesen magati erhaltenen „Jagdbücher“, die beispielsweise Geschichten über die Herkunft der yama no kami enthalten (S.160-161).


Die Opfer und Gebete vor der Jagd sind den yama no kami gewidtmet und verstehen sich als Bitte um reiche Beute und eine sichere Jagd. Sie werden von unterschiedlichsten Ritualen begleitet, auf die Naumann im Laufe des Kapitels genauer eingeht. Eines dieser Rituale ist beispielsweise die Versammlung der Jagdgesellschaft im Haus des Anführers, welches bis zum Beginn der Jagd nicht verlassen werden darf (S.164). Die Strafe der Berggötter wird gefürchtet - sie ist jenen Jägern gewiss, die sie nicht verehren. Wichtig sind Opfergaben auch während des Verweilens im Wald, dass bei langen Jagdtouren nötig wird. Auch hier existieren unterschiedlichste Rituale (S.165-166). Wird bei einer Jagd keine Beute gemacht, vollziehen die Jäger oft eine rituelle Reinigung. Auch die Frauen spielen in diesen Glaubenspraktiken eine Rolle - geht der Mann auf die Jagd so bringen auch sie den yama no kami Opfergaben dar, wie etwa die erste Reisschale des Tages (S.166-167). Ein besonderes Fest, bzw. auch eine rituelle Bitte an die Berggottheiten ist das sogennante „Hyaku-maru no gan“ („Bitte um hundert Herzen“), das sich überregional in vielen Jagdgemeinschaften findet (S.167).

Die Danksagung nach der Jagd ist ebenso wichtig wie die Rituale davor. Auch hier bestehen unterschiedlichste regionale Praktiken, die meistens Tieropfer miteinschließen. Oft werden nur Teile des Tiers, wie etwa die Lunge, Ohren oder auch Blut geopfert. Bei der Erlegung besonderer Tiere kommt es durchaus auch zum Feiern von matsuri, beispielsweise des Shika Matsuri („Hirschfest“) in Tochigi oder des Kuma Matsuri („Bärenfest“) in Niigata (S. 167-175).

Weitere Jagdriten

In diesem Unterkapitel beschreibt Naumann Praktiken, die zumeist überregional in verschiedensten Jagdgemeinschaften Anwendung finden und für die Jagd als ungemein wichtig erachtet werden.

  • Rituelle Reinheit der Jäger
  • „Tabu“-Wörter: Keine Verwendung von Wörtern die mit der Jagd zu tun haben, also etwa keine Nennung der Jagdgegenstände, des Ortes etc.
  • Benehmen der Ehefrauen zu Hause: Opfergaben, bestimmte Dinge dürfen nicht gekocht werden, die Kinder dürfen nicht verstecken spielen da sich sonst das Wild versteckt
  • Rezitation von Zaubersprüchen
  • Verteilung des erlegten Wildes
  • Verbot, den Wald bei Festtagen der Berggottheit zu betreten

Der Beschützer der Haustiere

Da die Viehzucht geschichtlich keine besonders Große Rolle in Japan gespielt hat, bleiben auch die Informationen über Glaubenspraktiken zur Tierhaltung dürftig. Naumann beschreibt einige Rituale von Rinderbauern und Pferdehaltern, wie etwa das Opfern einer Schale Reiswein und die Bitte um leichte Geburt von Kälbern oder Fohlen (S.180).

Der „Herr des Waldes“

Der Besitzer des Bodens

Wald und Berg sind nach den bestehenden Glaubensvorstellungen als tatsächlicher Grundbesitz der yama no kami zu verstehen. Übertritt ein Mensch also die Schwelle in das Reich der Berggottheit, kann diese nach eigenem Belieben über ihn verfügen. Zum Schutz vor der Berggottheit bei längeren Aufenthalten werden gewisse Plätze mit abgebrochenen Zweigen markiert, um dieses Stück Land von der Berggottheit zu borgen.

Die yama no kami verlangen von ihren menschlichen Besuchern vor allem Reinheit. Dies ist sowohl im rituellen Sinn gemeint, als auch im rein physischen. Im Wald sollte beispielsweise keine Notdurft verrichtet werden, da sonst der Zorn der Kami heraufbeschwört wird. Gewisse Orte in Wald und Flur dürfen zudem nicht betreten werden, da sie Aufenthaltsort oder Weg der Berggottheiten sind. Besonders Frauen ist der Besuch des Waldes oft ganz versagt (S.199-200).

Der Herr der Bäume

Die yama no kami besitzen nicht nur Wald und Tier, sondern auch die Bäume. Es haben sich einige unterschiedliche Vorstellungen zu dieser Thematik herausgebildet, die wiederrum mit eigenen Glaubenspraktiken verbunden sind.

  • Der Baum als Wohnsitz der yama no kami: In ganz Japan existiert die Vorstellung, dass Bäume durch die Anwesenheit der Berggottheiten „beseelt“ werden. Ausgewählte Bäume gleichen somit Schreinen für die yama no kami und werden auch in dieser Weise verehrt. Beliebt sind Bäume mit besonderen Formen z.B. sogenannte „Fensterbäume“ oder „Schirmkiefern“. Diese Bäume dürfen unter keinen Umständen gefällt werden (S.200-202).
  • Opfer beim Fällen von Bäumen: Wird Holz geschlagen, ist ein Opfer besonders wichtig. Die Rituale um das Holzfällen sind eine der Ältesten und werden sehr früh bezeugt. Ritualgebete und Opfergaben wie etwa Reiswein in Bambusröhren sind der Kern der Rituale (S.203-205).
  • Der „Erste Gang in den Wald“: Der erste jährliche Waldbesuch ist ebenfalls von Ritualen begleitet und findet meist um die Zeit des koshōgatsu („Kleines Neujahr“) statt (S.205).
  • Bäumchen und Zweige: Nicht nur die Bäume, sondern alle Teile eines Baumes gelten als Eigentum der Berggottheit oder von ihr beseelt. Dies ist für die Verwendung und die Pflanzung von Bäumen ungemein wichtig, die so ebenfalls von Ritualen begleitet werden (S.206-214).
  • Der Schöpfer und Erhalter des Waldes: Die yama no kami sind die Erhalter und Urheber der Lebenskraft des Waldes. Die Gottheit darf bei ihren Tätigkeiten im Wald nicht gesehen werden, woraus unter anderem die Vielzahl an Betretungsverboten resultiert (S.214-215).

Die Baumseele

Ein eigenes Kapitel widmet Naumann der Vorstellung von der Beseelung der Bäume. Auch hier treten wiederum unterschiedliche Darstellungen und Praktiken auf.

  • Der Baum als Gottheit: Diese Vorstellung umfasst die heiligen Bäume der yama no kami, die Bäume auf Schreinarealen und vor allem auch Bäume, die selbst eine Gottheit sind. Diese Bäume werden meist in lokalen Kulten verehrt und sind nicht nur Wohnsitz und Aufenthaltsort der Kami, sondern selbst Kami. Manche Bäume werden auch mit historischen Persönlichkeiten in Verbindung gebracht. Wichtig ist auch der Zusammenhang zwischen Bäumen und Totenseelen - wird beispielsweise jemand unter einem Baum begraben, kann seine Seele im Baum eingefangen werden (S.215-218)
  • Der Geburtshelfer: Der Baum wird als Helfer bei Geburt und Kindsnöten herangezogen, in vielen Gebieten scheint eine Geburt ohne die Hilfe des yama no kami undenkbar (S.215-221).
  • Krankheit und Heilung: Die yama no kami beschwören nicht nur Krankheit herauf, sie können sie auch heilen. So werden bei verschiedensten Krankheiten die Berggottheiten angerufen (S.221-223).

Erotische Züge

Die Glaubenspraktiken rund um die yama no kami haben in vielen Gebieten phallische Züge. Da die Berggottheit oft als junge oder alte Frau dargestellt wird, die sehr eifersüchtig und launisch ist, werden etwa hölzerne Phalli dargebracht an denen sie sich erfreuen kann. Ebenso wird bei männlichen Berggottheiten verfahren, nur dass anstelle der Phalli aus Strohsäcken geformte Vulvas oder Säckchen mit Bohnen dargebracht werden. So sind die Rituale um die yama no kami auch Teil des japanischen Phalluskults. Naumann geht an dieser Stelle zudem auf die phallische Symbolik der okojo, der Bergschnecke, ein (S.223-232).

Yama no Kami, die Vegetationsgottheit der Bauern

Der Wechsel von yama no kami zu ta no kami

Die Vorstellung, dass die yama no kami zum Frühlingsbeginn in die Dörfer kommen und zu den ta no kami („Feldgottheiten“) werden, die die Äcker bewachen, ist weit verbreitet. Die Vorstellungen werden von rituellen Praktiken, die sich um das „Herabsteigen“ und „Hinaufsteigen“ drehen, begleitet. Ebenso wichtig sind die Vorstellungen rund um die „Reisseele“. Naumann geht hier auf verschiedenste Zusammenhänge zwischen den Vorstellungen von yama no kami und ta no kami ein, die sie besonders auf dei Umstände des Brandfeldbaus zurückführt. Da die Brandfelder meist nicht nur rund um das Dorf, sondern beispielsweise auch in entlegenen Gebieten in Wald und Berg bestellt wurden, war es allgemeiner Glaube dass die Berggottheit über diese Felder wachen würde (S.245-251).

Naumann geht insbesondere auch auf die Beschreibung der Rituale zum „Herabsteigen“ der yama no kami ein. Eine besondere Form des Rituals wird besonders genau beschrieben, das kagihiki („Hakenziehen“) (S.251-259). Zudem setzt sich Naumann mit den dramatischen und tänzerischen Darstellungen des „Herabsteigens“ bzw. „Hinaufsteigens“ der Berggottheiten auseinander. Diese Rituale haben stets einen Charakter des „Hinziehens“ bzw. „Wegziehens“ - die DorfbewohnerInnen versuchen somit die Gottheiten zu locken um ihre Gunst zu empfangen, sie zur gegebenen Zeit jedoch auch wieder zu vertreiben. Eine Sonderform dieser Rituale ist auch das Kagashi-age („Wegleiten der Vogelscheuche“, das Naumann ausführlich beschreibt (S.260-262).

Yama no kami und die Totenwelt

Der Glaube, das Toten und Ahnenseelen in Wald und Berg verweilen, ist in Japan weit verbreitet. Die Berge werden mitunter als „Welt der Toten“ konzipiert. Dort werden beispielsweise Totenfeiern abgehalten oder spezielle Ahnenschreine gebaut. Die Vorstellung, dass die Totenseelen zum O-Bon Fest vom Berg herabsteigen ist ebenso geläufig. Die yama no kami werden also neben ihrer Funktion als Berg-, Wald- und Feldgottheiten auch als Ahnengottheiten begriffen. Jedoch können Ahnenseelen und Geister nicht unmittelbar mit den yama no kami gleichgesetzt werden, da hier zahlreiche unterschiedliche Darstellungen bestehen (S.265-265).

Interessant ist zudem der Zusammenhang von yama no kami als Ahnengottheiten und Initationsriten. Diese beziehen sich vor allem auf männliche Dorfbewohner und finden beispielsweise in Opfergaben oder Geburtsfeiern ihren Ausdruck. Im Ritual zum „Herabsteigen“ der Berggottheit werden zudem oft alle Namen der männlichen Dorfbewohner verlesen, was ebenso einem Initiationsritus gleichkommen könnte (S.256-266).

Eine weitere Thematik, in der Naumann die yama no kami mit der Totenwelt verbindet, versteht sie als „Absinken der Ahnengottheit ins Gespensterhafte“. Hier werden vorallem Überlappungen der yama no kami mit den tengū („Berggeister“) thematisiert. Auffallend ist hier die buddhistische Prägung der tengū, sowohl im Namen als auch in ihrem Auftreten als Wandermönche. Die Berggeister haben meist einen sehr boshaften Charakter und werden mit Entführungen und anderen Übel in Verbindung gebracht. Eine dieser Berggeister ist auch die berühmt berüchtigte „Yamauba“, eine Art Berghexe, deren Opfer zumeist junge Mädchen sind. Diese Vorstellungen der yama no kami als Teil einer Totenwelt haben nicht zuletzt zu ihrer Dämonisierung beigetragen (S.266-271).

Yama no kami und dōsojin

Die Bräuche und Praktiken um die Yama no Kami gleichen oft jenen der dōsojin. Der Begriff dōsojin umfasst alle Gottheiten, die Wege und Grenzen bewachen. Dieser Sachverhalt kann insbesondere an drei Punkten festgemacht werden: den Feuerfesten, den Lachfesten, sowie den Fruchtbarkeitsriten. Naumann geht in den folgenden Unterkapiteln detailliert auf die Ähnlichkeit der genannten Feste und Riten, auf lokal unterschiedliche Bräuche und auf Ursprung und Entstehung der Riten (auch in Europa und Asien) ein (S.273-298).

Naumann stellt jedoch dezidiert fest, dass Berg- und Weggottheiten keinen gemeinsamen Ursprung haben und dass die Ähnlichkeit der Praktiken, sowie die allmähliche Vermischung der Gottheiten ein Produkt der geschichtlichen Entwicklung ist (S.302).

Altpflanzerische Elemente

In diesem Kapitel geht Naumann auf jene Charakteristika des Kultes um die yama no kami ein, die altpflanzerischen Gesellschaften zugeordnet werden könnten. Folgen Praktiken und Vorstellungen sind an dieser Stelle herauszustreichen:

  • Wettkämpfe und Diviniation

Die hier erwähnte Glaubenspraxis umfasst vor allem Läufe, Seilziehen, Ballwerfen und Steinschlachten, sowie Steinkampf und auch Menschenopfer. Die Wettkämpfe werden primär zu Ehren der Gottheit abgehalten und folgen je nach Region und Dorf eigenen Regeln. Sie haben nicht nur die Form eines reinen spielerischen Wettkampfes, sondern sind oft an ein Zeremoniell gebunden. Besonders Ball- und Steinwerfen sind zudem mit Elementen der Diviniation verbunden, etwa mit Voraussagen zur Fruchtbarkeit des Bodens im folgenden Jahr. Steinwettkämpfe und Schlachten waren sehr gefährliche Unternehmungen, die des öfteren Tote forderten. Einige Ethnologen gehen davon aus, dass sie früher an tatsächliche Menschenopfer gebunden waren, die gute Ernteaussichten garantieren sollten. Die Tendenz, Verbote für gefährliche Festivitäten zu erlassen, besteht seit der Tokugawa-Zeit (1600-1868). Man kann jedoch annehmen, dass solche Feste früher keine Seltenheit waren (S.302-320).

Interessant ist zudem, dass die Wettkämpfe oft dualistische Ausrichtungen haben (etwa in der Ortauswahl, der Gruppenwahl der Kämpfenden usw.). Naumann führt dies in Bezug auf den Völkerkundler Adolf E. Jensen auf den mythischen Konflikt zwischen Berg- und Meergott zurück (S.321).

  • Rituelle Jagden

Spuren ritueller Jagden sind vor allem in den Bräuchen der Jagdgemeinschaften in Aichi und Shizuoka zu finden und sind meist mit Neujahrs- oder Frühlingsfesten verbunden. Die oben schon erwähnten Shika Matsuri beinhalten beispielsweise solche rituellen Jagdformen. Die im Zuge dieser Jagden erlegte Beute beinflusst die danach stattfindenden Festlichkeiten - wird nichts erlegt, so wird auch kein matsuri gefeiert (S.322-328).

Der Mythos um Konohanasakuya-hime und Ninigi ist ein bedeutsamer Teil des Erzählkreises um die yama no kami und beinhaltet zudem eine Vielzahl altpflanzerischer Elemente. Er thematisiert die Kurzlebigkeit der Menschen, die aus dem Fluch des großen Berggottes Ōyamatsumi (bzw. Iwanaga-himes) resultiert (S.329-331).

Kommentar

Vorweg ist anzumerken, dass die angeführte Inhaltsangabe des Werkes sehr oberflächlich angelegt wurde und in der Darstellung des sehr umfassenden Materials, welches reich an Beispielen und Illustrationen ist, natürlich viel zu kurz greift. Einige Unterkapitel wurden zudem aufgrund ihres tiefgehenden Inhalts nicht angeführt, da sie meines Erachtens für eine kurz gehaltene Inhaltsangabe zu weit führen würden. So etwa die Vergleiche mit Berggottheiten und Glaubenspraktiken in aller Welt und zahlreiche regionale Beispiele zu den einzelnen Glaubensvorstellungen in Japan. Die nicht angeführten Inhalte sind jedoch deswegen nicht weniger wertvoll und lesenswert und sollten bei Interesse an der Thematik unbedingt nachgelesen werden.

Zudem ist ein Verweis auf die Fortsetzung des Werkes über zusätzliche Vorstellungen zu den yama no kami angebracht, das 1964 ebenso in den Asian Folklore Studies erschienen ist und sich insbesondere mit der Beschreibung des „Jūni-sama“, der Jahresgottheit, einäugiger und einbeiniger Berggottheiten und der Verehrung heiliger Berge auseinandersetzt.

Nun zu einer kurzen Kritik. Es steht außer Frage, dass Naumann mit dem vorliegenden Werk eines der umfassensten und wertvollsten Beschreibungen der Kulte um die yama no kami geschaffen hat. Ihre Ausführungen geben Überblick über vergangene und bestehende Glaubensvorstellungen und Praktiken, sind trotzdem detailorientiert und beschäftigen sich sowohl mit mythischen Vorlagen als auch mit tatsächlicher Glaubenspraxis. Naumann bewerkstelligt zudem eine Verknüpfung von unterschiedlichsten Glaubensvorstellungen zu Berggottheiten in allen möglichen Weltregionen mit jenen der yama no kami.

Ein mögliches Manko ergibt sich für mich aus der schieren Masse an Information, die zwar sehr gekonnt klassifiziert und arrangiert wird, den/die LeserIn aber oftmals erdrückt. Ich denke es wäre an manchen Stellen sinnvoll gewesen, weniger Beispiele anzuführen, diese aber dann eingehend zu analysieren. Andererseits könnte man die genaue Einzelanlyse der zahlreichen Beispiele auch als einen Asporn für zukünftige wissenschaftliche Arbeiten sehen.

Naumanns Arbeit zeigt, wie schwierig es ist die unzähligen unterschiedlichen Vorstellungen zu den yama no kami auf eine für ganz Japan gültige Vorstellung herunterzubrechen. Ich denke jedoch nicht, dass sich die wissenschaftliche Relevanz der Arbeit aus der Suche nach einer universalen Glaubensvorstellung ergibt, sondern vielmehr aus dem gekonnt geschaffenen Überblick über die vielen unterschiedlichen, regional stark differenzierten Praktiken in ganz Japan (und der Welt). Dass diese oftmals auch auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zurückgeführt werden können ist klar, ob diese Betrachtung aber letztendlich sinnvoll ist (und nicht den Blick auf die Einzigartigkeit und Besonderheit der einzelnen Vorstellungen verstellt) bleibt für mich fraglich.

Zudem sei angemerkt, dass das Werk vor allem als geschichtliche Quelle zu Glaubenspraktiken gesehen und gelesen werden sollte. Diese Empfehlung ergibt sich nicht nur aus dem frühen Erscheinungsdatum der Arbeit, welches nun schon mehr als 45 Jahre zurückliegt, sondern auch aus dem Fakt, dass viele Informationen zu den beschriebenen Praktiken schon zum Erscheinungdatum mindestens 80 Jahre alt waren (was auch von Naumann selbst angeführt wird, S.327). Dadurch liegt das gegenwärtige Bestehen der einzelnen Vorstellungen, Rituale und Kulte im Ungewissen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Großteil das letzte Jahrundert nicht überstanden hat und somit lediglich als historische Praxis angesehen werden muss.

Abschließend bleibt also zu hoffen, dass die yama no kami auf ein Neues ins Zentrum der ethnologischen bzw. japanologischen Forschungsinteressen gerückt werden und somit auch Naumanns Werk einen gebührenden Anschluss in der Gegenwart findet.

--Theresa Aichinger 19:21, 6. Okt. 2012 (CEST)