Exzerpt:Miller L 2008

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Exzerpiertes Werk:

Laura Miller 2008
„Extreme makeover for a Heian-era wizard.“ Mechademia 3 (2008), S. 30-45. (Exzerpt.)

In ihrem Artikel beschäftigt sich die Autorin Laura Miller, Professorin für Japanologie und Antropologie an der Universität von Missouri-St.Louis, mit dem sogenannten Seimei Boom. Sie untersucht die Reinkarnation des Abe no Seimei (921-1005), einer historisch-mythologischen japanischen Figur, in einen bishōnen. Dabei stellt sie die Frage, wie Seimei, der als eine Art Zauberer der Heian-Zeit galt, eine moderne Ikone und Volksheld werden konnte.

Kurzexzerpt des Inhalts

Zu Beginn des Artikels weist die Autorin darauf hin, dass im Jahr 2000 einige Gruppen von Schulmädchen an Shinto Schreinen des Abe no Seimei beobachtet wurden, wie sie Seimei vielmehr als Idol anstatt als kami [1] verehrten. Seimei, der in mittelalterlichen Erzählungen, auf etlichen Gemälden, und in den ihn gewidmeten Statuen meist als ernster Mann mittleren Alters dargestellt wurde, entwickelte sich in der Heisei-Zeit (1989-) als bishōnen [2] zum Subjekt zahlreicher Manga, Anime, Filme, TV-Serien und Romanen. Dieser neue Trend, der eine Kombination aus dem Begehren von bishōnen Bildern und dem aufregenden Reiz des Übernatürlichen wie Wahrsagerei und Okkultismus, die vor allem für Mädchen interessant zu sein scheinen, wird von Miller unter dem Begriff „girl gaze“ zusammengefasst.

Im nächsten Abschnitt erwähnt Miller die Textsammlungen Konjaku monogatari-shū (ca. 1000-1100) und Ujishūi monogatari (ca. 1190-1242), in deren Erzählungen die außergewöhnlichen Taten und Fähigkeiten von Abe no Seimei wie Geisterbeschwörung, das Befehligen von koboldartigen Wesen und Wahrsagerei etc. niedergeschrieben sind. Die Geschichte von Seimeis Herkunft wird von der Autorin hier ebenfalls kurz nacherzählt. So soll Seimei seine magischen Kräfte von seiner Mutter Kuzunoha, die die Gestalt einer weißen Füchsin hatte, geerbt haben. Der historische Seimei jedoch war Teil einer etablierten Hofbürokratie und verantwortlich für religiöse Rituale und Magie, die eine synkretistische Form der Kosmologie und Zeichendeutung bilden. Diese wird onmyōdō genannt. Es folgen eine kurze Erklärung und die Herkunft von onmyōdō und eine Aufzählung der Verantwortlichkeitsbereiche der damaligen "Hofmagier" (Miller 2008, S. 33). Es wurde gesagt, dass Seimei besonders brillant bei der Geschlechterbestimmung von Föten, der Suche nach verlorenen oder gestohlenen Objekten, und bei der Vorhersage der besten Tage für Aktivitäten im Freien und Umzügen gewesen sein soll. Außerdem konnte er angeblich mit Geistern kommunizieren oder durch Zauber unbelebte Gegenstände wie Schriftrollen und Papierpuppen in Geisthelfer transformieren oder sie sogar als Attrappen seiner selbst erschaffen, um seine Feinde in die Irre zu führen.

Im nächsten Abschnitt des Textes wird die Romanreihe Onmyōji von Science-Fiction-Autor Yumemakura Baku aus dem Jahr 1994 beschrieben. In diesen Büchern wird Seimei als schöner junger Mann von großartiger Statur und hellem Teint dargestellt. Das fand natürlich vor allem in der Mädchen-Zielgruppe großen Anklang und es folgten weitere Romane, Mangas und Filmreihen. Yumemakura erzielte damit einen Riesenerfolg und er produzierte anschließend sogar zwei Spielfilme, in denen die Rolle des Abe no Seimei von Nomura Mansai, einem attraktiven Schauspieler des kyōgen Theaters [3] verkörpert wurde. Er verlieh Seimei in den Filmen eine erotische Stimme und eine teilweise homoerotische Ausstrahlung, was offenbar wiederum bei den weiblichen Fans sehr gut ankam.

Ab 2001 verbreiteten sich der Seimei und onmyōji Boom in unzähligen Formen. Es wurden TV-Serien, weitere Mangas, Dokumentarfilme und eine Anzahl sogenannter onmyōji oder Yin Yang Musikalben produziert. Seimei und onmyōji erwiesen sich als lukrative Kulturindustrie und als der Boom eskalierte, begannen sogar Shintō Schreine, die Abe no Seimei gewidmet sind, oder mit ihm anderweitig in Verbindung stehen, mit der Herstellung und dem Verkauf von Amuletten und Glücksbringern. Erforscher des Seimei-Trends stellten fest, dass Mädchen anfingen, keine religiösen Botschaften mehr auf ihren ema [4] zu hinterlassen.

Ein wichtiger Aspekt des Seimei-Booms, den Miller aufzeigt ist, dass es keine zentrale Erzählung oder Geschichte gibt, die Gegenstand von Interesse und Wiederholung ist. Kulturproduzenten stöbern in alten Märchen und Geschichten der Heian-Zeit, um an Ideen für Geschichten über Abe no Seimei zu kommen und erschaffen dann völlig verschiedene Versionen von Seimeis Leben. Das Interesse befindet sich also nicht in der Geschichte, sondern vielmehr im Charakter von Seimei. Es besteht offenbar auch eine tiefe Interaktion zwischen den Künstlern und deren Fans, die wiederum sowohl die Produktion, als auch den Konsum beeinflusst (Miller 2008, S. 38). Die meisten der hergestellten Seimei Produkte zielen auf die Interessen und Wünsche eines imaginären weiblichen Publikums ab. Ein möglicher Auslöser für die Entwicklung dieser intensiven Seimei-Faszination könnten die um das Jahr 2000 veröffentlichten und übersetzten Harry-Potter-Romane und Filme, die in Japan sehr erfolgreich waren, gewesen sein. Eine andere Theorie besagt, dass es sich bei besagtem Seimei Boom um einen Teil eines neuen Nationalismus handelt, der sich in einem erneuerten Interesse an der Geschichte und den großen Epochen der japanisch kulturellen Innovation widerspiegelt. Es wird auch noch kurz auf weitere mögliche Interpretationen eingegangen.

Weiters haben sich viele Gelehrte auch mit Prophezeiungen in der heutigen Gesellschaft beschäftigt. Dienstleistungen und Praktiken der Wahrsagerei sind mit dem japanischen Begriff uranai benannt und umfassen westliche und chinesische Astrologie, Feng Shui, Tarot, I Ching, Blut-Typologie, Physiognomie, Numerologie etc. Laut H. Taneda ein Bereich, der heutzutage von Frauen dominiert wird (Miller 2008, S. 40). Die Beliebtheit diverser Divinationsarten unter jungen Frauen eskalierte um 1980. Darunter fallen beispielsweise Horoskope in Jugendmagazinen und Divinations Boutiquen in Harajuku. Seimei und onmyōji der Heian-Zeit wurden ideale Orte für zeitgenössische Mädchen, um ihr Interesse am Wahrsagen und Okkultismus zu wecken.

Die Autorin beschließt ihre Ausführungen damit, dass die primären Gründe für das Aufkommen von Abe no Seimei als Berühmtheit und Idol die Eigenschaften sind, die seinem Charakter zugeschrieben wurden, nämlich seine übernatürlichen Kräfte, die Beherrschung der Wahrsagekunst und seine neu proklamierte Schönheit.

Anmerkungen

  1. bezeichnet in erster Linie im japanischen Shintō (Shintoismus) verehrte Geister oder Götter
  2. ein Idealbild eines schönen jungen Mannes insbesondere in Mangas und Anime
  3. eine Art heiteres Zwischenspiel zwischen den Akten von Nō-Theaterstücken
  4. kleine hölzerne Votivplatten die man bei Shintō-Schreinen oder buddhistischen Tempeln kaufen kann und nachdem ein Gebet oder eine Petition auf sie geschrieben wurde, in einem designierten Bereich für die Gottheiten zu lesen hängen gelassen werden