Divyāvadāna
Themengruppe | Primärquellen |
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Werktitel | Divyāvadāna |
Autor | |
Entstehungszeit | Erste Jahrhunderte n.Chr. |
Bemerkung | Indisch-buddhistische Textsammlung über die Wiedergeburtsgeschichten von Laien, bildet einen Teil des Vinaya-Korpus |
Die Textsammlung Divyāvadāna ist ein Kompendium von indisch-buddhistischen Geschichten, das in den ersten Jahrhunderten n.Chr. auf Sanskrit verfasst wurde, und vermutlich dazu diente, die buddhistischen Lehren anhand moralischer Beispielfälle an ein breites Publikum aus Laien und Mönchen und Nonnen zu vermitteln. Im Divyāvadāna befinden sich 36 Avadāna-Geschichten sowie zwei Sutren.
Entstehungsgeschichte im buddhistischen Kontext
Die Avadāna-Geschichten im Divyāvadāna entstanden nach derzeitigem Forschungsstand ca. 200 – 350 n. Chr. in Nordwest-Indien, die genaue Entstehungs- und Kompilationsgeschichte des Korpus ist allerdings unklar. Die einzelnen Geschichten stammen wahrscheinlich von verschiedenen Autoren und wurden zu verschiedenen Zeiten geschaffen. Auch ist ungeklärt, zu welchem genauen Zweck oder für welches Publikum sie erdacht und aufgeschrieben wurden. Wahrscheinlich entstanden sie aber im Kontext der monastischen Kultur des frühen indischen Buddhismus.
Vollständige Manuskripte des Divyāvadāna mit allen 36 Geschichten in korrekter Reihenfolge finden sich erst ab dem 17. Jhd., jedoch gibt es in Manuskriptfunden aus dem 6. Jhd., und aus dem 1. oder 2. Jhd. n.Chr. immer wieder einzelne der im Divyāvadāna gesammelten Geschichten.
Im Vinaya, dem Text-Korpus der Ordensdoktrin, der Mūlasarvāstivādins (einer buddhistischen Schule, die in der ersten Hälfte des 1. Jhd. n.Chr. in Nordwest-Indien existierten) finden sich ebenfalls Versionen einiger der Geschichten aus dem Divyāvadāna. Die Geschichten beinhalten nämlich die komplexen Regeln und moralischen Gesetze des Buddhismus in populärer, narrativer Form, die vermutlich den didaktischen Nutzen hatten, Anhänger*innen beispielhaft einen moralischen Lebenswandel nach buddhistischem Vorbild nahezubringen.
Eventuell dienten Avadāna-Geschichten dazu, Laien zum Glauben und zur Unterstützung des Buddhismus zu animieren (indem auf die guten karmischen Resultaten davon hingewiesen wird), oder dazu, junge Mönche zu unterrichten, und buddhistische Lehren für die Allgemeinheit zugänglich zu machen.
Doch die Geschichten des Divyāvadāna verbreiteten sich auch unabhängig davon in Indien und anderen buddhistischen Ländern und wurden zum Teil auch ins Pāli, Tibetisch oder Chinesische übersetzt, was für ihre große Popularität und Bekanntheit innerhalb der buddhistischen Gemeinschaft spricht. Auch künstlerische Darstellungen der Avadānas finden sich in Form von Wandmalereien, Skulpturen und in Theaterstücken, so z.B. in den Höhlenmalereien von Ajanta (5. Jhd.) oder in Kizil (6. Jhd.)
Textaufbau
Das Divyāvadāna besteht aus 36 Avadāna-Geschichten und zwei Sutren, die jeweils die spirituelle Entwicklung von Personen auf dem buddhistischen Pfad und deren karmisches Schicksal zum Thema haben. Die Geschichten haben dabei drei Elemente:
- ein Handlungsstrang in der Gegenwart darüber, wie Charaktere die Vorteile der buddhistischen Praxis entdecken und den Buddha treffen
- eine Geschichte über die von den Charakteren in der Vergangenheit, also in ihren früheren Wiedergeburten, begangenen Taten, die in der Gegenwart dann zur Reifung gekommen sind
- eine Stelle, an der der Buddha als allwissender Erzähler die Charaktere aus dem Erzählstrang in der Vergangenheit mit denen in der Gegenwart identifiziert, und die karmische Bedeutung erläutert
Dadurch exemplifizieren die Geschichten die Unausweichlichkeit der Wirkung von Karma auf die Wiedergeburten und Leben aller Lebewesen, und veranschaulichen die buddhistischen Regeln ethisch korrekten Verhaltens sowie den Grund und die Grundlage dieser Regeln.
In der zweiten Hälfte des Divyāvadāna ist ein Geschichtenzyklus (Geschichten 26 – 29) enthalten, der das Leben des für die Verbreitung und Förderung des Buddhismus in Indien wichtigen Königs Aśoka (ca. 3. Jhd. v. Chr.) erzählt.
Als Rahmen der Erzählung findet sich in den Avadānas folgendes Szenario: Der Buddha oder einer seiner Anhänger erzählt die Geschichte entweder der Mönchsgemeinschaft, um ihre Fragen und Zweifel zu adressieren, oder einem Laien bzw. einer Gruppe von Laien, oft nachdem diese ihn für eine Mahlzeit zu sich nach Hause eingeladen haben, um ihnen damit das dharma (die buddhistische Lehre) näher zu bringen. In dieser Rahmenerzählung kann der Buddha die in der Geschichte vorhandene karmische Wirkformel und die dargelegten moralischen Regeln nochmals erläutern und kontextualisieren.
Inhalt
Die Hauptaussage der Avadāna-Geschichten bezieht sich darauf, welchen Lebenswandel Personen in verschiedenen Rollen der buddhistischen Gesellschaft, als Mönche, Nonnen, Händler, Bettler, Laienanhänger, Könige, Höllenwesen, Götter, etc., führen sollten. Das grundlegende Motto ist dabei:
Die einzelnen Geschichten veranschaulichen dies anhand von beispielhaften Charakteren und deren karmischen Lebensläufen, indem sie erklären, wie deren derzeitige Lebensumstände durch vergangene Handlungen zu Stande kamen, und welche zukünftigen Wiedergeburten sie durch ihre Taten für sich geschaffen haben. Ein besonderer Fokus liegt dabei darauf, wie sich karmischer Verdienst und ein Kontakt mit dem Buddha und den buddhistischen Lehren auf ihren spirituellen und moralischen Fortschritt auswirkt.
Besonders die Armen in der Gesellschaft profitieren laut den Avadānas, wenn sie karmischen Verdienst durch selbst einfache Taten wie das Geben von materiell weniger wertvollen Spenden ansammeln, solange sie dies im Zustand von gläubigem Vertrauen (prasāda) tun: Damit wird es ihnen ermöglicht, große Fortschritte auf dem spirituellen Pfad des Buddhismus zu machen. Für eine genauere Analyse der Zusammenhänge zwischen Spenden, karmischem Verdienst und karmischem Resultat siehe den Artikel zu Buddhistische Verdienstökonomie.
Obwohl die Textsammlung also generell einen buddhistischen Moraldiskurs mit der Kernaussage, dass (moralisch) gute und schlechte Handlungen zu ebenso guten und schlechten Resultaten in den Leben von Laien, Praktizierenden und Buddhas in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft führen, darstellt, zeigen die einzelnen Geschichten, wie komplex und vielschichtig das karmische System und die damit zusammenhängende Ethik in der damaligen indischen Gesellschaft verstanden wurde.
Verweise
Literatur
- Andy Rotman 2009„Marketing Morality: The Economy of Faith in Early Indian Buddhism.“ In: Shripad G. Bhat, Shilpa Sumant, and Ambarish Vasant Khare (Hg.), Śrīnidhiḥ: Professor Shrikant Shankar Bahulkar's Gratitude Volume. Pune: Saṁvidyā Institute of Cultural Studies 2009, S. 253-290.
- Andy Rotman 2008Divine Stories: Divyāvadāna Part 1 (translated by Andy Rotman). Somerville MA: Wisdom Publications 2008.