Kamikaze
Kamikaze
Der Begriff Kamikaze (神風), zu deutsch etwa „Götterwind“, tritt in der japanischen Geschichte an zwei verschiedenen Stellen auf: Einmal als Bezeichnung für die Taifune, die entscheidend zur Abwehr der beiden Mongoleninvasionen im 13. Jahrhundert beigetragen haben sollen. Danach als Namensgeber für die japanischen "Suizidbomber" im 2. Weltkrieg. Die verbindenen Elemente zwischen beiden sind Mythos, Krieg, und der Gedanke des shinkoku (神国), demzufolge Japan als „Heimat der Götter“ gilt, weswegen es unter ihrem besonderen Schutz steht.
Die Mongoleninvasionen
Die beiden Invasionsversuche der Mongolen (genkō 元寇 „Einfall der Yuan“, 蒙古襲来 mōkō shūrai, oder auch モンゴル襲来, mongoru shūrai, „Mongoleninvasion“) fanden in den Jahren 1274 und 1281 der Kamakura-Zeit (1185-1333) statt und waren die größten militärischen Angriffe auf Japan der Vormoderne.
Der damalige Mongolenherrscher Kublai Khan (1215-1294), Enkel von Dschingis Khan und Gründer der Yuan-Dynastie gelang eine vollständige Eroberung Chinas und wollte nach der Konsolidierung seiner Macht auf dem Kontinent das Einflussgebiet seiner Herrschaft auch auf Japan ausweiten. 1266 kam es zur ersten Kontaktaufnahme der mongolischen Yuan-Dynastie mit Japan. Zunächst wurden Nachrichten gesandt in denen der Wunsch nach Aufnahme "freundschaftlicher Beziehungen" ausgedrückt wurde. Die Botschaften waren also keine direkten Kriegserklärungen, auch keine Tributforderungen, jedoch eine unmissverständliche Aufforderung die Überlegenheit der mongolischen Herrscher anzuerkennen.
Diese Nachrichten wurden nicht direkt an den Herrscher gesandt, sondern zunächst zur Regierungshauptstadt Kyūshūs und von dort an den chinzei bugyō (Verteidigungskommissar für Westen) weitergegeben, welcher die Nachrichten weiter an das Shōgunat leitete. Formhalber wurde auch der Kaiserhof in Kyōto informiert.
Das Kamakura-Shōgunat, unter Führung von Hōjō Tokimune, fürchtete aber keine Angriffe, da es sich wegen der günstigen Insellage Japans und der Armee aus Samurai sehr sicher fühlte und so wurde die erste mongolische Gesandtschaft ohne Antwort zurückgeschickt. Auch weitere derartige Missionen von mongolischer Seite blieben ohne Erfolg, sodass sich Kublai Khan für einen Militärschlag gegen Japan entschied.
Die erste Invasion / Schlacht von Bun'ei / Bun'ei moko kassen
1274 startete eine Flotte aus ca. 1.000 Kriegsschiffen mit mongolischen, koreanischen und chinesischen Truppen Richtung Japan. Auf ihrem Weg gelang es ihnen die Inseln Tsushima 対馬 und Iki 壱岐島 (Iki no shima) einzunehmen, was ihnen einen strategischen Vorteil verschaffte. In der Hakata-Bucht auf Kyūshū trafen die Streitkräfte Kublai Khans auf die Hōjō Tokimunes. Das Kamakura bakufu hatte bereits nach der ersten mongolischen Gesandtschaft mit Kriegsvorbereitungen begonnen, war aber den Invasoren trotzdem zahlenmäßig und auch technologisch (die Mongolen setzten u.a. bereits Sprengwaffen ein) unterlegen. So wurden die Japaner aus Hakata verdrängt und mussten sich mehr und mehr ins Landesinnere zurückziehen, bis sie schließlich Schutz in der Festung in Mizu-ki (Talsperre in Dazaifu, in welcher das Hauptquartier lag) suchten. Obwohl die Verteidiger verdrängt wurden, entschied man sich auf mongolischer Seite dennoch zum Rückzug. Gründe für diesen unerwarten strategischen Schritt könnten ein Versorgungsproblem oder schwere Verluste innerhalb der Reihen der Angreifer gewesen sein.
Als wichtigster Grund für den Sieg seitens Japan wird aber ein schwerer Taifun (-> Kamikaze), der plötzlich in der Hakata-Bucht auftauchte und mehr als ein Drittel der feindlichen Schiffe zerstörte, gesehen.
Vorbereitungen auf weitere Invasionen
Nach der ersten gescheiterten Invasion erhielt das bakufu wieder Informationen über Vorbereitungen zu einem weiteren Angriff der Mongolen. Deshalb rüstete sich die Militärregierung und überlegte sich verschieden Strategien, um den Feind bei einem möglichen Angriff bezwingen zu können, behielt dann jeodch ihre Defensivstrategie bei. Währendessen richtete Khublai Khan das "Amt zur Züchtigung Japans" ein und wollte so die Vorbereitungen auf eine weitere Invasion schneller vorantreiben. Er ließ eine Flotte aus koreanischen, chinesischen und mongolischen Schiffen und Soldaten errichten und plante, dass die chinesischen Schiffe sich mit der mongolisch-koreanischen Streitmacht bei der Insel Iki vereinen sollten. Diese Koordination scheiterte aber, und es kam im Jahre 1281 zu einem ungünstigen Zeitpunkt für die Angreifer zur zweiten Invasion.
Die zweite Invasion / Schlacht von Kōan / Kōan moko kassen
Den Mongolen soll es bewusst gewesen sein, dass sich der Zeitpunkt des Angriffs gefährlich der Taifun Saison näherte, weswegen sie die koreanischen Schiffe und Soldaten zum Angriff drängten, ohne auf die chinesische Unterstützung zu warten. Einerseits war dies ein überstürtzer und unkluger Zug seitens der Angreifer, andererseits hatte die japanische Regierung bereits mit einem weiteren Angriff gerechnet und deswegen das Gebiet auf Kyūshū auf alle Eventualitäten vorbereitet. So wurde von 1276 bis 1277 eine Verteidigungsmauer um die Hakata-Bucht errichtet, zusätzlich erweiterte man die Streitkräfte und stellte wichtige Militärposten auf. Die Ankunft der mongolischen Aggressoren in der Hakata-Bucht bereitete den Verteidigern diesmal deutlich weniger Schwierigkeiten, so dass sogar teilweise zum Gegenangriff übergegangen wurde. Wieder zog ein Taifun über die Küste von Kyūshū hinweg und ein großer Teil der angreifenden Flotte wurde zerstört. Die überlebenden Truppen zogen sich nach Korea zurück.
"Göttliche Winde"
Die beiden Stürme galten als entscheidender Faktor für die Abwehr der Mongolischen Truppen in den Schlachten von Bun'ei und Kōan und wurden als Kamikaze bezeichnet, da man sie als göttliche Intervention japanischer kami gegen die feindliche Bedrohung interpretierte. So wird z.B. im Hachiman gudōkun der Kriegsgott Hachiman als Verursacher der Taifune dargestellt. Auch der historischen Chronik Jinnō Shōtōki 神皇正統記 zufolge waren es kami, die die angreifenden Schiffe vernichteten. Die Mongoleninvasionen sind insofern ein Schlüsselereignis, da der Mythos von der erfolgreichen Abwehr der Mongolen durch das Einschreiten japanischer Götter entscheidend zur Verbreitung des shinkoku-Gedankens beitrug.
Kritik am Kamikaze
In einer archäologischen Untersuchung von mongolischen Schiffswracks unter dem japanischen Forscher Kenzo Hayashida wurde festgestellt, dass die Konstruktion der Schiffe von großen Mängeln durchzogen und von niedriger Qualität war, was wiederum impliziert, dass die Invasion schlecht geplant war und hastig durchgeführt wurde. So gibt es die These, dass die Taifune möglicherweise eine Erfindung sind und Japan ohne ihre Hilfe verteidigt wurde, bzw., dass die Kamikaze, wenn sie stattgefunden haben, trotzdem nicht die Entscheidung der Schlachten herbeigeführt haben.
Unterstützt wird diese These von der Tatsache, dass in wichtigen historischen Quellen wie etwa den Mōkō shūrai ekotoba ("Bildrollen über die Invasion", erstellt unter Leitung des selbst involvierten Samurai Takezaki Suenaga) keinerlei Referenz zu den Götterwinden besteht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist es die Kamikaze als einen rein ideologischen Begriff zu sehen, der dazu dienen sollte, die, in den beiden Invasionen der Mongolen stationierten, Krieger zu motivieren und auch im ganzen Land ein "gemeinsames Landbewusstsein" zu schaffen.
Kamikaze im zweiten Weltkrieg
Seinen zweiten Auftritt hat der Begriff Kamikaze gegen Ende des 2. Weltkrieges, wo er als Namensgeber für jene Kampfflieger fungierte, die Selbstmordangriffe gegen amerikanische Schiffe flogen. Was im gesamten Okzident als „Kamikaze“ geläufig ist, nennt man in Japan 神風特別攻撃隊 (Shinpū tokubetsu kōgekitai, auch als Kamikaze tokubetsu kōgekitai lesbar; Bedeutung in etwa: „Spezialangriffstruppe Götterwind“), oder einfach kurz 特攻隊 (Tokkōtai). Die verschiedenen Lesungen sind ein Ergebnis des japanischen Reimports der eigentlich falschen reinjapanischen Lesung „Kamikaze“, wie sie von den Amerikanern damals verwendet und so international etabliert wurde.
Historischer Hintergrund
Bereits vor der Einführung der Tokkōtai-Strategie kam es gelegentlich zu individuellen Selbstmordangriffen auf sowohl japanischer als auch amerikanischer Seite. Dies geschah meistens, um eine Gefangennahme zu verhindern oder um trotz Niederlage/Tod möglichst großen Schaden beim Feind anzurichten. In den letzten zwei Jahren des pazifischen Krieges erlitten die Japanischen Streitkräfte immer mehr Verluste, während die Alliierten im sogenannten „Inselspringen“ stetig Richtung japanisches Hauptland vorrückten. Ähnlich wie bei der Mongoleninvasion war hier der Gegner wirtschaftlich und technologisch überlegen; amerikanische Flugzeuge wie die F4U Corsair oder die F6F Hellcat siegten im Luftkampf gegen die japanischen Mitsubishi Zeros, und die amerikanische Flotte besaß bei weitem mehr Schiffe als die japanische Marine. Da eine „göttliche Intervention“ in diesem Falle selbstverständlich ausblieb, erhoffte man sich von einer Luftgestützten Suizidangriffstruppe entsprechende Effekte, um die Gegner zum Rückzug zu zwingen.
Vizeadmiral ōnishi Takijirō (大西 瀧次郎) gilt als Schöpfer der Kamikaze-Taktik; erstmals verwendet wurde sie 1944 bei den Phillipinen. Die erste Formation bestand aus 24 Flugzeugen der 201. Fliegerstaffel unter der Anführung von Lt. Yukio Seki. Sie wurde in die Einheiten Shikishima, Yamato, Asahi und Yamazakura unterteilt, in Anlehnung an ein patriotisches Tanka-Gedicht von Motoori Norinaga (本居宣長):
敷島の大和心を人問はば 朝日に匂ふ 山桜花
Shikishima no Yamato-gokoro wo hito towaba, asahi ni niou yamazakura bana
Eingesetzte Flugzeugtypen
- Yokosuka MXY-7 „ōka“ (櫻花, „Kirschblüte“)
Dieses Flugzeug nahm eine Sonderstellung ein, da es sich eigentlich um eine bemannte Bombe mit Antrieb und Steuerfunktion handelte, welche von größeren Trägerflugzeugen aus startete. Im gegensatz zu den anderen verwendeten Flugzeugen wurde es ausschließlich für Kamikaze-Einsätze konstruiert.
- Mitsubishi A6M Zero
- Nakajima Ki-43
Weiterer Verlauf
Wegen zunehmenden Verlusten und dem Beginn der strategischen Bombardierung Japans wechselte das japanische Militär zunehmend zur Suizidstrategie, um nicht nur Schiffe, sondern auch angreifende Langstreckenbomber wie die B29 zu rammen. Da bei Angriffen auf Schiffe die Überlebenschance der Piloten sehr gering war und Flugzeuge zunehmend knapp wurden; desweiteren wegen der omnipräsenten Propaganda des „ehrenvollen Todes“ für den Kaiser, fanden diese Strategien erstaunlich positive Resonanz bei den japanischen Piloten. Jedoch muss auch erwähnt werden, dass das Prinzip des „Sich-Freiwillig-Meldens“ nur deswegen verwendet wurde, um den damaligen Tennō Schuldfrei zu halten vom Vorwurf, einen „Todesbefehl“ gegeben zu haben. Letzten Endes wurden oft auch diejenigen, die sich der Tokkōtai verweigerten, gezwungen, ihr Leben für das Land und den Kaiser zu opfern.
Entgegen der japanischen Propaganda blieben die Erfolge der Kamikaze-Angriffe eher gering, die meisten Schiffe und Kreuzer wurden nur beschädigt, die wenigsten versenkt. Die spätere Strategie, Trägerflugzeuge mit bemannten „ōka“-Bomben (von den Amerikanern auch als „Baka“ – „Narr“ bezeichnet) auszusenden, ging insofern nicht auf, weil das Überraschungsmoment längst verpufft war und die USA mit entsprechenden Gegenmaßnahmen die Träger abschoss, bevor sie ihr Ziel erreichten, und fast alle „ōkas“ dem Flakfeuer und Jägern zum Opfer fielen. Bis zum Ende des Krieges verloren ca. 6.000 Piloten bei derartigen Einsätzen ihr Leben, die letzte Schwadron Kamikaze startete sogar nach der offziellen Kapitulation des Kaisers, ohne seine Ansprache im Radio gehört zu haben.
Shintō, Kamikaze und die Tokkōtai
Wenn man der Shinkoku-Ideologie (神国思想, Shinkoku-Shisō) Glauben schenkt, so ist Japan ein von den einheimischen Göttern kreiertes Land, das von ihnen beschützt wird, und der japanische Kaiser stammt von ihnen in direkter Erblinie ab. Der Gedanke wurde erst durch propagandistische Zwecke zu einem derart Chauvinistischen, da man ursprünglich glaubte, dass alle Länder auf göttlichem Wege entstanden sind. Der Begriff Shinkoku bekam erstmals in der Heian-Zeit nationalistische Konnotationen, als der Glaube entstand, Japan stände unter göttlichem Schutz gegen die benachbarten Länder.
Die mythologischen Taifune, die die Mongoleninvasionen beendeten, verursachten eine weite Verbreitung des Gedankens des Shinkoku in der Gesellschaft Japans. Später, im Verlauf der Meiji-Zeit wurde diese Ideologie aufgegriffen und im Zuge des stärker werdenden Nationalismus mit der Überlegenheit des japanischen Volkes und der japanischen Kultur in Verbindung gebracht. Da der Tennō deifizierten Status besaß, wurden, wie u.a. im „Kaiserlichen Erziehungsedikt“ der Meiji-Zeit ersichtlich ist, Loyalität und Gläubigkeit quasi gleichgesetzt. So kam es letztendlich dazu, dass das Selbstopfer für die Nation und den Kaiser die allerhöchste Ehre nicht nur im patriotischen, sondern auch im religiösen Sinn darstellte. Leute, die unter diese Kategorie fielen, wurden als Eirei(英霊, „gefallene Heldenseelen“) und damit auch als „Schutzgottheiten“ des Landes gepriesen. Kamikaze-Piloten wurden gewöhnlich im Yasukuni-Schrein (靖国神社, Yasukuni-Jinja) verehrt, was eine besondere Auszeichnung darstellt, da dieser Schrein zweimal im Jahr vom Kaiser persönlich besucht wurde. All dies trug neben einigen anderen Faktoren dazu bei, dass der Tod als Kamikaze-Pilot als etwas erstrebenswertes betrachtet wurde.
Links
Bildrollen über die Mongoleninvasionen
Literatur
Inoguchi, Rikihei (1959), The divine wind. London: Hutchinson
Scherer, Klaus (2001), Kamikaze – Todesbefehl für Japans Jugend. München: Iudicium
Dieser Artikel wurde ursprünglich für das Schwesterprojekt Hachiman-no-pedia verfasst.