Exzerpt:Kirkland 1981
Rezension zu:
Einleitung
J. Russell Kirkland befasst sich im Text „The ,Horseriders‘ in Korea. A Critical Evaluation of a Historical Theory“ mit unterschiedlichen Ansätzen bezüglich der sogenannten „Pferdereitertheorie“ (horserider theory), die er kritisch, anhand unterschiedlicher historischer Quellen, analysiert und zerlegt. Die Pferdereitertheorie basiert auf der Annahme, dass der japanische Staat von Angreifern aus der „eurasischer Steppe“ (durch das asiatische Festland und Korea nach Japan kommend) gegründet wurde. Kirkland präsentiert auch seinen eigenen Ansatz zur Staatsgründung, der durch die Pferdereitertheorie-Ansätze kontextualisiert wird.
Kirkland führt die Wurzeln der Theorie auf den japanischen Historiker Kita Takeichi zurück, der auf die Ähnlichkeiten zwischen japanischen Legenden und denen des koreanischen Puyŏ-Volkes (in der heutigen Südost-Mandschurei ansässig), sowie auf die zeitliche Übereinstimmung in der Gründung von drei mächtigen koreanischen Königreichen und des ersten japanischen Staats, hinweist. Die Pferdereitertheorie von Egami Namio erregte 1948, nach dem Symposium „Ursprünge von Kultur des japanischen Volkes und die Formation des japanischen Staates“[1], großes Aufsehen in Japan. Egamis Theorie nimmt in Kirklands Text eine zentrale Position ein. Obwohl nicht allgemein akzeptiert, führte Egamis Theorie zur Entstehung von weiteren diesbezüglichen Ideen, die Kirkland im Text ebenfalls anspricht.
Egami Namios Pferdereitertheorie
Eine Annahme, mit der Egami zu seiner Pferdereitertheorie kommt ist, dass die Wende von „südostasiatischen“ Eigenschaften des japanischen Volks (friedlich, landwirtschaftlich, magisch und ritualisiert) zu „nordasiatischen“, für Pferdereiterkulturen typischen Eigenschaften (praktisch, militant, „König-Edelmann-Beziehungen“) zu rasch vollzogen worden sei. Ausgehend von literarischen Aufzeichnungen kommt Egami zum Schluss, dass diese Wende an die japanische Bevölkerung erzwungen wurde. Als eine Ähnlichkeit zwischen der koreanischen und japanischen Mythologie führt Egami eine Geschichte aus dem Kojiki an, in der Jinmu Tennō die (Seto-)Inlandsee auf dem Rücken einer Schildkröte durchquert – diese vergleicht er mit der Geschichte des Puyŏ-Gründers Chumong. Egami beschreibt die Abfolge des Zuges nach Japan wie folgt: Die zukünftigen Herrscher Japans stammten entweder aus der Ostmandschurei oder Nordkorea, von wo aus sie nach Mimana in Südkorea zogen. Unter Führung von Sujin Tennō sind sie dann nach Nord-Kyūshū gekommen, unter der des Ōjin-Tennō nach Kansai, bzw. Zentral-Japan. Diese letzten zwei Etappen sollten auch mit japanischen Chroniken übereinstimmen.[2]
Könige von Chin
Einen gravierenden Problempunkt sieht Kirkland mit Egamis Behandlung der Könige von Chin in Südwest-Korea, die nach Osten expandierten. Mithilfe der Könige von Chin versucht Egami die Migration von der Mandschurei nach Korea bzw. Mimana zu beweisen, und diese sollten (in der „ersten Invasionsphase“) die Pferdereiterkultur von Nord- nach Südkorea mitbringen. Doch wie Kirkland betont, basiert diese Annahme auf einer einzigen Zeile aus der chinesischen Chronik San-kuo chih. Zum einen gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Könige von Chin Außenseiter (wie es Egami annimmt), oder eine ethnische Gruppe gewesen sein sollen – gesichert ist lediglich die Tatsache, dass sie eine politische Organisation geführt hatten, möglich unter Herrschaft des Königreichs Mahan. Egami nimmt auch an, dass Leute aus Chinhan zu Königen von Chin wurden, doch die historischen Quellen sprechen von einer klaren Trennung zwischen den beiden. In den Quellen sei die Rede von „Königen aus Mahan“ zu finden, wo es jedoch keine Pferde gab, also könnte es hier unmöglich Pferdereiter geben haben. Egami ignoriert auch die Tatsache, dass Flüchtlinge, die in Chinhan angesiedelt worden sind, laut der Chronik Hou han shu von der chinesischen Ch'in-Dynastie flüchteten und dieselbe Sprache gesprochen haben. Zwar gibt er zu, dass es hier chinesische Regierungsformen gegeben hatte, er spekuliert aber auch damit, dass dieses Volk keine „echten“ Chinesen gewesen sein sollen, die lediglich die chinesische Kultur aufgenommen hatten - auch wenn historische Aufzeichnungen das Gegenteil suggerieren. Kirkland wirft die Fragen auf, warum das friedliche Bauernvolk aus Chinhan eine Invasion führen würde, und auch warum in der Kofun-Kultur keine chinesischen Spuren zu finden sind. Da laut Kirkland das Volk aus Mimana die Pferdereiterkultur an Japan nicht weiterleiten konnte, kommt er zum Schluss, dass die oben erwähnte „Transformation“ genauso gut in Japan selbst stattgefunden haben dürfte.[3]
Die Puyŏ
Egami schlägt eine „mandschurische Verbindung“ aufgrund einer einzigen Analogie zwischen einem japanischen Herrscher und einem mandschurischen Puyŏ vor, und zwar der Geschichte von Jinmu Tennō auf der Schildkröte (es wird von Kirkland betont, dass diese Geschichte nur im Kojiki zu finden ist), welcher Egami laut Kirkland eine zu große Bedeutung zuschreibt. Zudem werden keine Pferde in japanischen Aufzeichnungen erwähnt – Jinmus Armee bestand nur aus Fußtruppen. Was die mandschurische Verbindung weiter unglaubwürdig macht, ist das landwirtschaftliche Dasein der Puyŏ und der Umstand, dass es keine Aufzeichnung von Mythen aus Paekche gibt, die mit Schildkröten zu tun hätten. Vielmehr lässt die Schildkröte eine Verbindung zu den Traditionen des japanischen Kaya-Volks vermuten, das aus derselben Region wie Sujin-Tennō stammt.[4]
Andere japanische Historiker und die Pferdereitertheorie
War die anfängliche Reaktion auf die Pferdereitertheorie im Allgemeinen eine stark ablehnende, so fand sie doch weitere Anhänger, die mit ihr (so Kirkland) meist unkritisch umgehen und die historischen Quellen nicht (immer) nachprüfen. Der erste dieser Anhänger war Ishida Eiichirō, Vorsitzender des Symposiums von 1948. Ishida führt eine neue Hypothese ein: die des auf der Südspitze Koreas ansässigen Wa-Volks. Er schlägt vor, dass eine koreanische „Wa-Kan-Konföderation“ nach Japan umgezogen sei, nachdem in Korea mächtige Staaten gegründet wurden. Außerdem sollen die koreanischen Wa die Herrscher aus Mimana bei der Eroberung der japanischen Wa-Festung unterstützt haben. Im Unterschied zu Egami spricht Ishida von zwei Invasionsphasen, zwischen denen sich die Angreifer nach Korea zurückgezogen hätten, um dort eine Hausmacht aufzubauen. Kirkland spricht gegen diese Idee, da sie einerseits unnötig und andererseits historisch sowie archäologisch nicht belegt ist.
Eine „Neo-Pferdereithertheorie“ kommt vom Historiker Mizuno Yū. Seine Argumentation beinhaltet eine dreistufige Invasion, wobei er neben abgeänderten Egami-Thesen auch seine Theorie der „alternierenden Dynastien“ anwendet. Kurz gefasst spricht Mizuno von tungusischen Pferdereitern, die bereits im 2. Jh. v.u.Z. in Korea ansässig gewesen, und im 1./2. Jahrhundert u.Z. in Kyūshū eingedrungen sein sollen. Nachdem sie die einheimischen Wa besiegt hatten, errichteten sie dort ihren Staat Na bzw. Kuna. Dieser soll im 4. Jahrhundert auch die Oberhand über Yamato gewonnen haben, woraufhin die japanische Hauptstadt nach Naniwa übersiedelt wurde.[5]
Westliche Antwort: Gari Ledyard
Trotz des besonderen Stellenwerts der Theorie in Japan, folgte im Westen die erste Reaktion erst im Jahr 1967. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Textes gab es eine einzige kritische Evaluation, nämlich die des Koreanologen Gari Ledyard. Dieser weist darauf hin, dass selbst Egami zugebe, dass die Angreifer ein landwirtschaftliches Volk gewesen sein müssten. Er plädiert auch dafür, der „koreanische Verbindung“ mehr Aufmerksamkeit zu schenken.[6] Dieser Mangel an Aufmerksamkeit stellt für ihn zwar eine Schwachstelle in Egamis Theorie dar, doch lehnt er sie nicht vollkommen ab: ähnlich wie Mizuno formuliert er sie für seine Zwecke um.
Ledyard charakterisiert das 4. Jahrhundert als eine Zeit einer ostasiatischen Völkerwanderung, diese Aussage ist aber insofern problematisch, dass zu dieser Zeit keine Historiographie entweder in Korea oder Japan betrieben wird (auch wenn er hier von einer „kollektiven Vergessenheit“ spricht), und somit kann sie nicht eindeutig bestätigt werden. Fest steht für Kirkland aber, dass in der chinesischen Historiographie keine Aufzeichnungen über eine Großinvasion nach Korea gibt. Er argumentiert weiter, dass einerseits der koreanische Staat Koguryō eine Invasion in solchem Ausmaß nicht überleben könnte, andererseits gibt es aus dieser Zeit detaillierte Aufzeichnungen, die kein Zufluss eines Steppenvolks erwähnen würde. Vielmehr kritisiert Kirkland Ledyard, dass er in „Steppenromantik“ verfällt. Weitere Kritikpunkte sind eine fehlende Antwort auf die Frage, wer die Puyŏ überhaupt gewesen sind und warum sie nach Süden (Paekche) umgezogen sind, wie auch, warum sie plötzlich zu Eroberern geworden wären (hier gibt es wiederum keine Erwähnung davon in den chinesischen Annalen).
Der Kern von Ledyards Ansatz steckt für Kirkland in der zweiten Phase: hier weist Ledyard auf Inkonsistenzen in Nihongi selbst. Dort steht nämlich einerseits, dass im Jahr 369 japanische Truppen nach Tokushu (T'aksun), um einen Feldzug (erfolgreich mit Unterstützung von Paekche) gegen Silla zu führen. Doch einige Jahre später ist laut Nihongi Silla immer noch unabhängig und im Aufschwung. Seine Grundprämisse ist, dass Paekche ein Staat von Puyŏ-Kriegern gewesen sei, was konsistent mit chinesischen Chroniken (ab dem 6. Jahrhundert) ist. Kirkland meint aber, dass Puyŏ die Südküste nie erreichen könnte, hätten sie auch Paekche erobert. Weiter führt Kirkland eine These aus, dass die Puyŏ von chinesischen Einwanderern abstammen dürften (die Name ist chinesischen Ursprungs), die Ledyard nicht bedenkt. Zudem argumentiert Ledyard, dass es ihm gelungen sei zu beweisen, die Puyŏ-Pferdereiter zu der Zeit der japanischen Invastion die Südost-Küste (Mimana) unter Kontrolle hatten. Kirkland sieht hier mehrfache Probleme: einerseits ist so etwas in koreanischen Annalen gar nicht erwähnt, andererseits ist Mimana eine japanische Name für die Kaya-Konfederation, die „japanische Domäne“ wurde militärisch erobert und war bis 562 unabhängig, um dann in Silla einzufallen. Und obwohl in den historischen Aufzeichnungen (japanischen und koreanischen) keine Erwähnung einer Migration der Puyŏ nach Japan aufzufinden ist, hält Ledyard Jimmu-Tennō für eine Repräsentation der Puyŏ-Krieger. Diese These hält Kirkland für ungemein weit überholt, ohne Rücksicht für japanische Historie und Archäologie.[7]
Kirklands Ansatz
Kirkland argumentiert für die Identität der Wa als eines maritimen Volkes, das Inseln von der Koreastraße, durch Nord-Kyūshū, Tsushima bis hin zur Küste von Korea bewohnt hatte. Wa könnten ihre Macht durch Bündnis mit den Yamato verstärken – hier zitiert Kirkland den japanischen Historikern Inoue Hideo, der sogar von einer „Federation von lokalen Wajin“ spricht, also Wa, die in Korea ansässig seien[8]. Kirkland macht auch auf die geläufige Praxis bei den japanischen Annalisten im 8. Jahrhundert aufmerksam, die aus koreanischen Quellen zwar ausgegangen sind, haben die Inhalte aber absichtlich verzerrt, um die Bedeutung Japans in koreanischen Angelegenheiten zu steigern, wovon letztendlich auch Ledyard spricht. In diesem Zusammenhang weist er auf mögliche Missverständnisse des Begriffs „Wa“ hin – es ist nämlich auch der chinesische Begriff für alte Japaner, von denen hier die Rede sein dürfte. Kirkland argumentiert weiter, dass es alleine die Wa sein konnten, die von Korea Japan angreifen konnten (was mit u.a. Ishidas und Mizunos Theorie übereinstimmt), es würde sich so jedoch nicht um Pferdereiter aus der Mandschurei, sondern um Eingeborene aus Südkorea, die mit Japan dieselbe „Yayoi-Kultur“ teilten, handeln. Die Wa würden den Halbinsel auch nicht gänzlich verlassen. Das „Land der Wa“ wurde später in Japan umbenannt, als sie auf Kyūshū ihre Unabhängigkeit verloren haben; auf der koreanischen Küste wäre das Volk dann teils zurückgezogen, teils in die koreanischen Königreichen assimiliert, wobei Kirkland eine Möglichkeit eines sukzessiven Prozesses nicht ausschließt. Somit schlägt anstatt einer „Mandschurei-Puyŏ-Verbindung“ eine „Kaya-Wa-Verbindung“ vor.[9]
Beurteilung des Textes
Kirklands Text liefert über die Pferdereitertheorie ein hoch komprimiertes Wissen: es gelingt ihm, in dem relativ knappen Umfang von etwa 20 Seiten auf vier Ansätze einzugehen, um dann noch seinen eigenen zu präsentieren, so dass auch thematisch nicht vertraute LeserInnen die Argumentationslinien reibungslos verfolgen können. Wie auch auf dem Artikel sichtbar, macht das aber auf der anderen Seite eine einfache Zusammenfassung etwas schwierig – die einzelnen Ansätze bedingen sich gegenseitig, eigentlich sind fast alle Informationen, die Kirkland wiedergibt, von Bedeutung. Für unvertraute LeserInnen könnten die jeweiligen historischen Kontexte einen Problempunkt darstellen: sicherlich gewinnt der Text noch an Tiefe, wenn man sich mit Geschichte der koreanischen Königreichen und Staaten auskennt, dies ist aber für ein Grundverständnis der Theorie (bzw. Theorien) nicht unbedingt erforderlich. Kirklands kritische Auseinandersetzung mit den Theorien lässt seine eigene Argumentation plausibel und überzeugend erscheinen, auch wenn es für eine weitere Beschäftigung mit dem Thema hinsichtlich des Erscheinungsdatums von Interesse wäre, sich mit aktuellerer Forschung auseinanderzusetzen.
Zum Autor
Dr. Russell Kirkland unterrichtete asiatische Religionen und verwandte Fächer auf der Stanford University, University of Rochester, University of Missouri, Oberlin College und Malacaster College. Zu seinen anderen Tätigkeiten zählt Arbeit im Präsidium der Society for the Study of Chinese Religions, dem Lenkungsausschuss von der "Chinese Religions"-Gruppe der American Academy of Religions, wie auch im Vorstand der U.S. Taoist Association.[10]
Zitate
- ↑ „The Sources of the Culture of the Japanese People and the Formation of the Japanese State“, so Kirklands Übersetzung. Vgl. Kirkland 1981, S. 110.
- ↑ Vgl. Kirkland 1981, S. 110-111.
- ↑ Vgl. Kirkland 1981, S. 111-113.
- ↑ Vgl. Kirkland 1981, S. 113-115.
- ↑ Vgl. Kirkland 1981, S. 115-117.
- ↑ „In refusing to be more precise about the Puyŏ and the Koguryŏ, whom he himself virutally makes the key to his theory, [Egami] neglects the responsibility of fully examining the ,Korean connection‘ in the origin of the Japanese State.“, Vgl. Kirkland 1981, S. 117.
- ↑ Vgl. Kirkland 1981, S. 117-124.
- ↑ "What, then, was the political identity of the Wa? One Japanese historian, Inoue Hideo, asserts that the reference to the Wa (Korean, Wae) in Korean sources 'means chiefly the local magnates living in Mimana, and that the [supposed] Japanese government in Mimana was not an outpost agency of the Yamato government to control southern Korea but rather a 'federation of local Wajin (the Wa people in Kara)' established for the purposeof expanding their power by associating themselves with the Yamato court.', Vgl. Kirkland 1981, S. 124.
- ↑ Vgl. Kirkland 1981, S. 124-125.
- ↑ Vgl. Dr. Russell Kirkland. [1] (Zugriff 15.11.2012)