Exzerpt:Kobayashi S 2010: Unterschied zwischen den Versionen

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Mit diesem Artikel liefert Kobayashi einen sehr detaillierten Überblick über Forschungsstand sowie eine nützliche Analyse des Diskurses zu Geistern und eignet sich demnach auch sehr gut, um einen Einstieg in die generelle Untersuchung von Geistern in Japan zu erhalten. Der Aufbau ist gut strukturiert und die Menge an Verweisen und Zitaten zeugt von dem gut recherchiert wirkenden Inhalt der Arbeit.
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Mit diesem Artikel liefert Kobayashi einen sehr detaillierten Überblick über Forschungsstand sowie eine nützliche Analyse des Diskurses zu Geistern und eignet sich demnach auch sehr gut, um einen Einstieg in die generelle Untersuchung von Geistern in Japan zu erhalten. Der Aufbau ist gut strukturiert und die Menge an Verweisen und Zitaten zeugt von dem gut recherchiert wirkenden Inhalt der Arbeit. Weniger gut finde ich einerseits, dass dem Fall Sawara Shinnōs nur ein Teil der Aufmerksamkeit geschenkt wird, was andererseits allerdings auch bedeutet, dass ein weiteres Spektrum an Fällen mit in die Forschung einfloss. Jedoch nimmt die ausführliche Behandlung der Ereignisse nach Sawara Shinnōs Tod, die mir mittlerweile recht gut bekannt sind, einen signifikanten Teil ein, während ich mich mehr über eine noch genauere Analyse des Diskurses zu Sawara Shinnōs goryō gefreut hätte. Auch das nur spärliche Erwähnen der Zeit nach Kanmu Tennō sehe ich als problematisch, da Sawara Shinnō immerhin als einer der sechs ''goryō'' des ''goryō-e'' von 863 gilt. Insofern wäre es sicherlich interessant zu betrachten, wie sich der Diskurs im Kontext des politischen Klimas in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts entwickelt hat, wobei Kobayashi selbst davon spricht, dass Sawaras Geist nach Kanmus Tod von der Bühne verschwindet.

Version vom 13. Januar 2021, 23:22 Uhr

Rezensiertes Werk:

Shigefumi Kobayashi 2010
Sawara-shinnō onryō-gensetsu no hatsumei.“ Shigaku 史学 (The historical science) 79/3 (2010), S. 211-244. (Exzerpt (The invention of the discourse on the vengeful spirit of Imperial Prince Sawara).)

Inhalt

Um der Frage nachzugehen, ob der Groll erst mit dem Tod des Kronprinzen Sawara Shinnō 早良親王 (750-785) entstand, betrachtet Kobayashi zunächst die Forschung, die sich mit Geistern vor der Heian-Zeit (794-1185) beschäftigt. Er argumentiert, dass zur Nara-Zeit (710-794) Geister keinen gesellschaftlichen Aspekt hatten, und erst durch die Entwicklung der Ritsuryō-Politik 律令制 die untere Bevölkerungsschicht in die Lage kam, auf die Aktivitäten der Oberschicht zu reagieren und diese zu kritisieren. Hierfür wurden Geister benutzt, die zur Kritik an der Regierung verwendet wurden.

Diskurs über Geister

Folgend werden Untersuchungen zum Diskurs über Geister angeführt und betrachtet. Das Konzept von Groll könnte bereits vor der Nara-Zeit existiert haben, allerdings kritisiert Kobayashi die schwache Argumentation, die diese Behauptung validieren sollte. Generell gilt Prinz Nagaya 長屋王 (684-729) als die erste Verkörperung solch eines Grolls. Dieser wurde gezwungen, Selbstmord zu begehen, nachdem er Opfer einer Intrige wurde. Der Kaiser ließ Nagayas Knochen in die Kii Provinz bringen, in der es eine Art von japanischem Pfeffer und Ingwer gibt, die die Fähigkeit besitzen, Gift zu eliminieren und die Knochen reinigen sollten.

Mit Beginn der Tempyō-Ära (729-749) kann man davon sprechen, dass das Konzept der Existenz einer Seele akzeptiert war. Die ersten bekannten Beispiele hierfür sind Kaiserin Inoe (eng.) 井上内親王 (717-775) sowie der Kronprinz Osabe Shinnō 他戸親王 (761-775), die beide Aufgrund einer vermutlich falschen Anschuldigung von Fujiwara no Momokawa (eng.) 藤原 百川 (732-779) ums Leben kamen. Dieser verfolgte wohl das Ziel, dem Prinzen Yamabe (später Kanmu Tennō 桓武天皇) (737-806) den Weg zum Thron zu ebnen, welcher jedoch daraufhin erkrankte. Um die Geister von Inoe und Osabe Shinnō zu beruhigen, wurden sie ehrenhaft begraben. Osabe Shinnō wurde jedoch trotz der Behauptung, Mitglieder der kaiserlichen Familie besäßen mächtige Geister, nicht als Rache suchender Geist wahrgenommen. Erst mit der Verbindung des Rache-Diskurses mit Sawara Shinnō kann man von einem Rachefluch verstorbener, mächtiger Personen sprechen. Vor der Tempyō-Ära hatten Geister kein Bewusstsein und somit auch kein Verständnis von Groll.

Die Grabstätten von potentiellen goryō 御霊-Kandidaten spielen ebenfalls eine Rolle. Einer Auffassung zufolge entstammen die Flüche der goryō den Grabstätten, welche bei Verwahrlosung verflucht werden. Demnach sind die Flüche der Grabstätten die Flüche, die das Land heimsuchen, und das Land verehrt die Geister für deren Schutz vor jenen Flüchen. Diese Auffassung erlaubt auch, nicht von Groll, und somit nicht von politischer Verantwortung zu sprechen.

Sawara Shinnō

Den ersten Fall, bei dem Rituale für die Geister Verstorbener, der Grabstätten und der Heimsuchungen alle gemeinsam auftreten ist der von Kronprinz Sawara Shinnō. Hierbei ist allerdings der Grund für die Heimsuchungen die Heimsuchung der Grabstätte. Darüber hinaus ist kein Grund bekannt gegeben, wodurch sich der Hof der politischen Verantwortung entziehen und Kritik vermieden werden konnte. Zuvor handelte es sich bei so einer Heimsuchung stets um die von kami, und Sawara Shinnō ist der erste Fall, bei dem der Geist eines Verstorbenen zur Verkörperung solcher Heimsuchungen wurde. Nach Kobayashi ist die Entstehung dieser onryō-shisō 怨霊思想 [Spirit-Ideologie] eine Folge eines Wandels des Verständnisses von Seelen. Nach dem Tod Sawara Shinnōs plagten zahlreiche Unglücke das Land, und nach ersten Zwischenfällen war schließlich keine Überprüfung und Bestätigung mehr notwendig, um die Taten dem Rache-Zorn Sawara Shinnōs zuzuschreiben. Dann, mit der Ernennung zum Sudō Tennō 崇道天皇 im Jahr 800, ließen die Unheile schließlich nach, und der Geist Sawaras geriet in Vergessenheit. Erst gegen Ende seiner Lebenszeit, und aufgrund einer verschlechternden gesundheitlichen Lage, entwickelte Kanmu Tennō eine zunehmende Angst vor Sawaras Geist und verstärkte seine Bemühungen, diesen zu besänftigen. Sawaras Geist sowie der der Kaiserin Inoe werden für die Erkrankung verantwortlich gemacht, ohne, wie zuvor erwähnt, entsprechende Verifikations-Prozesse von Wahrsagern zu Rate zu ziehen. Mit der Einführung von nationalen Gedenkdiensten, der Errichtung von Lagerstätten für Sawara Shinnō und einer Steuer kam erstmals das Wort “Groll” in Bezug zu Sawara Shinnō. An Kanmus Todestag begnadigte er alle an Fujiwara no Tanetsugus (eng.) 藤原 種継 (737-785) Tod Beteiligten und Beschuldigten und stellte deren Hofrang wieder her.

Mit der Validation von Sawaras Geist als goryō versuchte der Hof nicht nur, diesen zu beruhigen, sondern auch in einen positiven Schutzgott zu verwandeln. Das Konzept von Groll wurde also abgelehnt wodurch sich der Staat gegen Kritik aus Volksreligionen abschirmte, mit der höfischen Anerkennung des Diskurses über Geister öffnete sich aber auch ein Weg, diesen als Mittel zur Kritik am Staat zu nutzen. Bereits zuvor beteiligten sich einige private Priester daran, einen politisch kritischen Diskurs zu entwickeln, und mit der Institutionalisierung der Geistern-Rituale durch den Hof versuchte man, diese Macht unter Kontrolle zu bekommen. Doch dadurch wurde das Konzept der goryō auch popularisiert und einer weiteren Masse zugänglich gemacht, und mit ihm auch der politisch kritische Diskurs.

Persönlicher Kommentar

Mit diesem Artikel liefert Kobayashi einen sehr detaillierten Überblick über Forschungsstand sowie eine nützliche Analyse des Diskurses zu Geistern und eignet sich demnach auch sehr gut, um einen Einstieg in die generelle Untersuchung von Geistern in Japan zu erhalten. Der Aufbau ist gut strukturiert und die Menge an Verweisen und Zitaten zeugt von dem gut recherchiert wirkenden Inhalt der Arbeit. Weniger gut finde ich einerseits, dass dem Fall Sawara Shinnōs nur ein Teil der Aufmerksamkeit geschenkt wird, was andererseits allerdings auch bedeutet, dass ein weiteres Spektrum an Fällen mit in die Forschung einfloss. Jedoch nimmt die ausführliche Behandlung der Ereignisse nach Sawara Shinnōs Tod, die mir mittlerweile recht gut bekannt sind, einen signifikanten Teil ein, während ich mich mehr über eine noch genauere Analyse des Diskurses zu Sawara Shinnōs goryō gefreut hätte. Auch das nur spärliche Erwähnen der Zeit nach Kanmu Tennō sehe ich als problematisch, da Sawara Shinnō immerhin als einer der sechs goryō des goryō-e von 863 gilt. Insofern wäre es sicherlich interessant zu betrachten, wie sich der Diskurs im Kontext des politischen Klimas in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts entwickelt hat, wobei Kobayashi selbst davon spricht, dass Sawaras Geist nach Kanmus Tod von der Bühne verschwindet.