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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2021, 12:12 Uhr
Themengruppe | Exzerpte |
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Behandeltes Werk |
Zum Autor
Dr. James Carter Dobbins ist Japanologe und Professor für Religion und Ostasienwissenschaften am Oberlin College in Ohio. Er beschäftigt sich in seinen Arbeiten vorwiegend mit der buddhistischen Lehre der Jōdo Shinshū 浄土真宗 und relevanten Persönlichkeiten dieser religiösen Richtung, wie zum Beispiel ihrer Gründerfigur Shinran 親鸞 oder seiner Ehefrau Eshin'ni 恵信尼. Auch der hier behandelte Text folgt dieser Linie und widmet sich der Biographie ihres Gründers.
Text
"Heiligenbiographien" sind ein weit verbreitetes, Kulturen übergreifendes Phänomen und sollen von "übernatürlichen" Elementen in den Leben der betreffenden Personen zeugen. Da es sich üblicherweise um Biographien historischer Persönlichkeiten und nicht fiktiver Charaktere handelt, sind sie in ihrem Aufbau chronologisch. In diesen wird dann die religiöse Botschaft über die Verbindung des Protagonisten zum Heiligen / dem Übernatürlichen beziehungsweise die Enthüllung des Einflusses des Heiligen in dessen Leben eingebaut. Die Biographie Shinrans mit dem Namen Honganji no Shōnin Shinran den'e 本願寺の聖人親鸞伝絵 (kurz Godenshō 御伝鈔 genannt) ist ein solches Beispiel.
Der Text wurde ungefähr 33 Jahre nach Shinrans Tod von seinem Urenkel Kakunyo 覚如 verfasst, die darauf folgenden Biographien benutzen das Werk als Vorlage. Die zwei grundlegenden Elemente der Lehre, das Nenbutsu 念仏 und der Glaube, bilden ein Ideenfundament für das Godenshō; es steht in direkter Verbindung zum Diskurs über Amida Butsu 阿弥陀仏. Der Text ist eindeutig die Biographie einer Gründerfigur, deren Leben den Anfangspunkt einer neuen religiösen Bewegung darstellt - das steht in einem gewissen Gegensatz zu üblichen Heiligenbiographien. Eines der Hauptziele Kakunyos war es, die Einzigartigkeit des Gründers zu unterstreichen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde Shinran als eine physische Manifestation Amida Butsus selbst beschrieben.
Die Apotheose des Shinran
Kakunyo kannte seinen Urgroßvater Shinran nicht persönlich, daher fasste er autobiographische Notizen des Gelehrten selbst und Aussagen anderer zu seiner Person zusammen. Die Briefe seiner Ehefrau Eshin'ni 恵信尼 baute Kakunyo hingegen nicht ein, wohl weil er sie nicht kannte. Die historische Genauigkeit der Biographie ist schwer eindeutig zu klären; für manche Passagen, zum Beispiel die angeblichen rhetorischen Siege über Hōnens 法然 andere Schüler, gibt es keine Belege. Aus diesem Grund kann das Godenshō als Verschriftlichung und Zusammenfassung bereits existierender mündlicher Überlieferungstraditionen betrachtet werden. Im weiteren Verlauf des Artikels beschränkt sich der Autor auf zwei der fünfzehn Teile, die das Godenshō bilden. Die beiden Teile im Fokus beziehen sich auf Träume, die in der religiösen Geschichte durchaus als legitime Quellen von Offenbarung galten.
Der erste behandelte Traum ist derjenige, der Shinran dazu inspirierte, die Tendaishū 天台宗 hinter sich zu lassen und sich Hōnens Lehren zuzuwenden. Im Jahre 1203 soll dem Mönch im Traum der Bodhisattva Kannon 観音 erschienen sein. Er soll zu Shinran gesprochen haben: Sollte er jemals aufgrund der Auswirkungen früheren Karmas den Drang verspühren, mit einer Frau zu schlafen, so werde er, Kannon, sich als eine solche inkarnieren. Sein ganzes Leben werde er ihm in Form der Frau Gutes tun, und ihn nach seinem Tode ins Reine Land führen. Dieses Versprechen solle Shinran verbreiten, damit alle Lebewesen davon hören. Danach soll Shinran noch im Traum gen Osten geblickt und unzählige Lebewesen auf einem Berg versammelt gesehen haben. Er selbst verkündete die Botschaft des Bodhisattva. Es ist bekannt, dass Shinran Probleme mit dem klösterlichen Leben hatte; vor allem mit der Enthaltsamkeit. Dieser Traum legitimiert seine Abwendung vom Zölibat. Im Einklang mit seinen eigenen Aussagen, zeichnet auch das Godenshō kein Bild von ihrem Protagonisten als von jeglichen menschlichen Gelüsten befreiten Asketen. Das war auch Leitmotiv seiner religiösen Ansichten. Gleichzeitig aber stellt Kakunyo Shinran gleich mit Persönlichkeiten wie Shōtoku Taishi 聖徳太子 oder Hōnen und betont seine religiöse Wichtigkeit.
Den zweiten Traum hatte ein Schüler des Shinran mit dem Namen Renni; in ihm erfuhr er, dass sein Lehrer eine Inkarnation des Amida Butsu sei. Genauer sah er den Prinzen Shōtoku Taishi während er Shinran anbetet und ihn Amida Butsu nennt. Durch diese Bemerkung stellt Kakunyo Shinran über andere religiöse Autoritäten und zeichnet ihn als den Weg zur Erlösung. Allerdings ist zu bemerken, dass es in den Aufzeichnungen Shinrans selbst keine Hinweise darauf gibt, dass er eine solche Darstellung von sich verbreitet hat, noch gibt es sonstige Aufzeichnungen von Wundern oder dergleichen.
Problematik
Die Jōdo Shinshū kann als tendenziell konservativ aufgefasst werden, denn sie war eigentlich nicht geneigt, Vergöttlichungen anzustellen. Das liegt durchaus auch an Shinran selbst, der für eine strikte Verehrung Amida Butsus einstand und andere Gottheiten für einen Störfaktor hielt. Kakunyo selbst war sich dessen bewusst, immerhin fand Rennis Traum in den ersten zwei Manuskripten keinen Einzug. Nichtsdestotrotz akzeptierte auch Shinran die gängige Ansicht des Mahāyāna-Buddhismus und setzte sowohl Shōtoku Taishi mit Kannon sowie auch Hōnen mit Seishi 勢至 (Bodhisattvas an Amidas Seite) gleich. An einer Stelle in seinen Aufzeichnungen beschrieb er Letzteren sogar als Manifestation Amidas. Das war in seiner Logik kein Widerspruch. Zudem ergab sich was Shinrans Apotheose betrifft eine Problematik des Missbrauchs der Vergöttlichung durch den Gelehrten selbst nicht, da die Attribution erst nach seinem Tod erfolgte.
Institutionelle Auswirkungen
Das Godenshō bietet jene Mythologie, die wahrscheinlich entscheidend für die Entwicklung der Shinshū zu einer eigenständigen Lehre war. Shinrans Ansichten unterscheiden sich deutlich von jenen des Hōnen, aber das alleine, so notwendig es ist, ist keine Garantie für ihre Etablierung. Dafür war wohl eher die Darstellung verantwortlich, die suggeriert, dass Shinran Hōnen und andere Lehrer übertroffen habe. Seinen bahnbrechenden Erfolg könnte das Godenshō dem Aufkommen einer bestimmten Institution zur gleichen Zeit zu verdanken haben: der Honganji 本願寺. Der Hongaji begann als simple Gedenkkapelle bei Shinrans Grabstätte. Im Laufe der Zeit wurde er zu einem richtigen Tempel zur Verehrung Amidas, wobei der Fokus sowohl rituell wie auch architektonisch auf Shinran blieb. Kakunyo verfasste eine Liturgie für die jährliche Gedenkfeier, die die gleiche Mythologie unterstützt wie sein biographisches Werk. Unter Rennyo 蓮如, achter Erzabt des Honganji, erfuhr die Gedenkfeier (Hōonkō 報恩講) weitere Veränderungen; neben der Erinnerung und Verehrung ihres Gründers wurde sie nun auch zum Anlass für Konversion, Buße und Umkehr und ferner auch für doktrinelle und institutionelle Führung des Tempellebens. Klare Verbindungen zwischen der Verehrung Shinrans mit der Institution werden deutlich. Überdies wurde 1496 auch das Godenshō in die Gedenkfeier eingebaut.
In der heutigen Zeit wird Shinran eher als charismatischer Lehrer als als Inkarnation Amidas gehandelt. Die globalen Säkularisierungstendenzen haben ihre Spuren auch an der Shinshū hinterlassen. Nichtsdestotrotz werden die traditionellen Rituale am Honganji fortgesetzt.
Conclusio
Zusammenfassend kann gesagt werden, Heiligenbiographien haben große institutionelle Auswirkungen auf Religionen. Während unterschiedliche Mythen vielfältige Wirkungen erzielen können, verleihen sie oftmals den Tempeln etc. sowie spirituellen Nachfolgern der Protagonisten Legitimation und Autorität. Sie sind essenziell für die weiteren Entwicklungen einer Religion. So können sie als ein aufschlussreicher Anhaltspunkt für die Verbindungen zwischen den Kernmythen eines Glaubenssystems und den Organisationsstrukturen fungieren.
Kommentar
Der Artikel kann aufgrund seiner Kürze bei weitem nicht alle Teile des Werkes beleuchten, Tiefgang ist also nicht möglich. Allerdings bietet er einen guten und leicht verständlichen Überblick über Kernelemente sowohl des Lebens des Shinran wie auch seiner Lehre und bietet zahlreiche Anregungen für weiterführende Recherche. Der Text ist relevant für sein Forschungsgebiet. Wer sich mit dem Gelehrten beschäftigt wird kaum an Dobbins vorbeikommen.